Bilingualer Erstspracherwerb
Das Kind erwirbt von Geburt an zwei Sprachen.
Optimaler Fall: eine-Person = eine-Sprache-Prinzip (z.B. der Vater spricht immer Deutsch, die Mutter immer Italienisch mit dem Kind).
- Sprachverständnis, Grammatik und Aussprache erwirbt das Kind in beiden Sprachen parallel. In diesen Bereichen hat das Kind gleiche sprachliche Fähigkeiten wie ein einsprachiges Kind.
- Der Wortschatz kann kleiner sein als bei einsprachigen Kindern.
Sukzessiver Zweitspracherwerb
Kommt eine zweite Sprache erst ab dem 3. Lebensjahr hinzu, spricht man von sukzessivem Zweitspracherwerb.
- Je früher der Zweitspracherwerb beginnt, umso grössere Ähnlichkeiten hat er zum Erstspracherwerb.
- Ab dem 6. Lebensjahr hat der Erwerb einer zweiten Sprache bereits Ähnlichkeiten mit dem Fremdspracherwerb beim Erwachsenen. Angeborene Spracherwerbsmechanismen können nur noch begrenzt genutzt werden und das Kind muss sich die Sprache teilweise schon bewusst aneignen.
- Ab der Pubertät funktioniert ein ungesteuerter Spracherwerb nicht mehr. Angeborene Spracherwerbsmechanismen können nicht mehr genutzt werden.
- Wie schnell ein Kind mit Deutsch als Zweitsprache Fortschritte machen kann, hängt vom Beginn, dem Umfang und der Qualität des sprachlichen Kontaktes ab. (Ab wann, wie oft, mit wem spricht das Kind Deutsch?)
Fremdspracherwerb
Das Kind lernt eine Sprache, die nicht in seiner Lebenswelt gesprochen wird. In der Regel wird die Sprache extern durch Unterricht oder spezielle Förderung gesteuert
Besonderheiten des Zweitspracherwerbs:
Die folgenden Phänomene gehören zum Zweitspracherwerb und sind normal, solange sie irgendwann überwunden werden. Problematisch ist nur der Stillstand. Falls dieser länger als ein Jahr andauert, sind sonderpädagogische Massnahmen notwendig.
- Codeswitching: Wechsel von einer Sprache in die andere mitten im Satz. (Jetzt gehe ich in cucina.)
- Borrowing: Übernahme von Einzelworten aus der anderen Sprache.
- Übertragungen von Erstsprache auf Zweitsprache („ich nach Hause gehe“: Satzstellung des Türkischen wird auf das Deutsche übertragen.)
- Instabilität: Das Kind spricht beispielsweise nach den Sommerferien kein Deutsch mehr bzw. macht mehr Fehler als vorher.
- Stagnation: Die Zweitsprache entwickelt sich nicht weiter.
Mögliche Ursachen eines erschwerten Zweitspracherwerbs:
Mangelnde Motivation die Zweitsprache weiterzulernen.
Zu hohe Komplexität der Zweitsprache ab einem gewissen Punkt. Als besonders komplexe Strukturen gelten im Deutschen Verbflexion (Ich gehe, du gehst), Verbstellung, Genus (der, die, das), Kasus (verschiedene Fälle), Numerus (Pluralmarkierung)
Was macht Mehrsprachigkeit zum Problem?
Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass Mehrsprachigkeit für das Kind kein Problem, sondern eine Chance ist. Schwierigkeiten entstehen, wenn:
- Der Sprachgebrauch den Erwartungen des Umfelds nicht entspricht und sprachliche Normen für einsprachige Kinder auf Kinder mit Deutsch als Zweitsprache übertragen werden (z.B. soll das Kind die Artikel der/die/das richtig einsetzen).
- Das Kind eine Spracherwerbsstörung oder nur begrenzte sprachliche oder kognitive Fähigkeiten hat.
- Soziokulturelle Faktoren (z.B. bildungsfernes Umfeld) erschwerend wirken.
Besonders wichtig ist:
Sprechen Sie in der Sprache mit Ihrem Kind, in der Sie sich wohl fühlen.
Vermitteln Sie dem Kind Ihre Kultur und Ihre Sprache (Bücher, Erzählungen, Bilder etc.)
Wenn das Kind sich in der Muttersprache sicher fühlt, fällt es ihm leichter, eine weitere Sprache zu lernen.
Kinderbücher, Verse und Lieder in verschiedenen Sprachen finden Sie auf:
www.silviahuesler.ch